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Rückblick auf Vereinsaktivitäten der letzten Jahre

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Mikroskopie auf der Ostseeinsel Hiddensee 2006

Hiddensee - da denkt man spontan an Urlaub, Ruhe, Wellen, autofreie Zone, vielleicht auch an allerlei Leckerem aus und mit Sanddorn. An Mikroskopie denkt man weniger, obwohl Ostsee, Bodden und einige Süßwasserseen interessante Areale für Beprobung hergeben würden und Hiddensee zudem im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft liegt. Aber wie kommt man zu den passenden Räumlichkeiten, und wer würde Zeit haben, den Kurs zu leiten ?

Am Rande des Bodman-Treffens 2005 erwähnte Klaus Hausmann, Berliner Mikroskopische Gesellschaft, dass er seit einigen Jahren mit Studentengruppen der Freien Universität Berlin die Räumlichkeiten der Biologischen Station der Universität Greifswald auf Hiddensee mitnutzen kann. Und er dachte laut darüber nach, ob man vielleicht eine Veranstaltung für biologisch-mikroskopisch Interessierte anbieten sollte. Warum nicht ? war die Frage. Dann erklärte er: Die Bedingungen für Probennahmen und Mikroskopie sind ideal, der Kurssaal bietet gute Arbeitsbedingungen für 14 Personen, Kurs- und Stereomikroskope sind in ausreichender Zahl verfügbar. Aber die Unterbringung ist rustikal. Auf dem Gelände gibt es eine Reihe kleiner, sehr einfach ausgestatteter Holzhäuschen mit Waschbecken. Duschen und Toiletten befinden sich in einem separaten Gebäude. Das ist schon ein Camperherz erforderlich.

Im MIKROKOSMOS März 2006 erschien dann tatsächlich die Ankündigung Hiddensee: Natur erleben - Verborgenes mikroskopieren. Die Resonanz war gut, und so trafen sich am 2.10.2006 neun Freunde der Mikroskopie, um eine Woche lang Hiddensee zu durchstreifen, Natur zu erleben und einer Reihe kleiner und größerer Lebewesen auf die Spur zu kommen. Es hatten sich ursprünglich mehr Leute angemeldet, aber wegen Planungsänderungen der Uni Greifswald war im Juli 2006 eine Terminverschiebung notwendig geworden, welche leider nicht alle Interessenten mit ihrer Jahresplanung in Einklang bringen konnten.

Die Insel zeigte sich von einer rauen, aber herzlichen Seite. Es gab viel Wind und Wolken, aber durchaus auch Sonne; und Regen fiel nur, wenn wir im Haus waren. Getreu nach dem Motto Natur erleben - Verborgenes mikroskopieren hatte Klaus Hausmann ein Programm zusammengestellt, welches uns die Insel als Ganzes mit ihren Steilküsten, Heidegebieten und Vogelreservaten nahe brachte. Die Wanderungen führten uns über den nördlich gelegenen Dornbusch mit seiner 72 m Höhe zur Steilküste sowie den Landzungen Alter und Neuer Bessin mit ihren Watvogelbeständen. Mit geliehenen Fahrädern ging es zusammen mit der Leiterin der Station, Frau PD Dr. Irmgard Blindow, in die Dünenheide zwischen Vitte und Neuendorf, wo sie uns Interessantes aus der Natur- und Kulturhistorie der Insel erzählte und das anthropogene Biotop Heide nahe brachte (Abb. 1). Als Dank half die Gruppe anschließend eine Stunde lang mit, bestimmte Gehölzpflanzen aus der Heide zu entfernen, die deren Bestand gefährden.

Irmgard Blindow erklärt die botanischen Besonderheiten der Heidelandschaft

Abb. 1: Frau Dr. Irmgard Blindow, Leiterin der Biologischen Station Hiddensee, erklärt die botanischen Besonderheiten der Heidelandschaft
(Foto: K. Hausmann, Berlin).

Der Station steht auch ein kleines Forschungsschiff zur Verfügung, welches die Gruppe in die Boddengewässer zwischen der Landzunge Neuer Bessin und der Rügener Halbinsel Bug brachte. Der Bereich gehört zur Schutzzone I des Nationalparks, und wir hatte Gelegenheit, neben Schwänen, Gänsen, Enten, Kiebitzen, Brachvögeln und anderen Limikolen auch ein Seeadlerpaar mit drei ausgewachsenen Jungtieren zu beobachten. In der Schutzzone II wurden dann mit der Dredge Seegras und die darin lebenden Fische und Krebstiere gefangen, um der Gruppe Gelegenheit zu geben, sich auch ein Bild der Makrofauna des Boddengewässers zu machen (Abb. 2). Die Tiere wurden nach Begutachtung und Bestimmung wieder freigelassen. Natürlich wurden auch Planktonproben genommen und hernach im Kursraum Crustaceen sowie zentrische Diatomeen beobachtet.

Begutachtung eines Dredge-Zuges an Bord des Forschungsschiffes

Abb. 2: Begutachtung eines Dredge-Zuges an Bord des Forschungsschiffes Prof. Gessner
(Foto: S. Buchczik, Berlin).

Als besonders interessant erwies sich der Aufwuchs auf dem makrophytischen Beifang, dem Seegras. Da gab es ausgedehnte Kolonien von Bryozoen, Polypen, Bäumchen von peritrichen Ciliaten sowie Kiesel- und Rotalgen, deren Beobachtung vor allem im binokularen Mikroskop (gemeinhin als Präparierlupe missachtet) viel Freude bereitete.

Im Kursraum hatte jeder Teilnehmer genügend Platz, das Mikroskop, das Bino sowie Präpariergerätschaften, Zeichenblock und Bestimmungsliteratur abzulegen. Klaus Hausmann hatte aus dem Berliner Institut Bestimmungsliteratur und zwei inverse Forschungsmikroskope (IM) der Firma Zeiss mitgebracht, ein IM aus der Zeit der Optik mit 160 mm mechanischer Tubuslänge mit Filmkamera über Beamer und ein Axiovert mit Computer gesteuerter Mikrodokumentationseinrichtung (Abb. 3). Neben Erklärungen zu den Protisten und Kleintieren aus dem Proben erläuterte uns Klaus Hausmann auch weiterführendes Wissenswertes an Hand von wissenschaftlichen Dokumentarfilmen, beispielsweise dem interessanten Teilungszyklus der Folliculiniden.

Arbeit am Zeiss-Axiovert mit Computer gesteuerter Dokumentationseinrichtung

Abb. 3: Arbeit am Zeiss-Axiovert mit Computer gesteuerter Dokumentationseinrichtung
(Foto: G. Zahrt, Berlin).

An drei Stellen im Bodden waren einige Zeit vor unserer Ankunft Objektträger in speziell dafür angefertigten Halterungen sowie Tee-Eier mit Köderbefüllung (Kaufmann und Hülsmann, 2006) ausgebracht worden. So hatte die Gruppe Gelegenheit, Protisten-Aufwuchs in verschiedenen Stadien der Ansiedelung und der gegenseitigen Verdrängung zu beobachten. Besonders spannend empfanden die Gruppenmitglieder die Beobachtung von Amöben, Folliculiniden (gehäusebewohnende Ciliaten), Moostierchen und kleinen Polypen, wobei die einzelnen Teilnehmer unterschiedliche Vorlieben hatten und die anderen dann jeweils an ihren Entdeckungen teilhaben ließen.

Die Gruppe zeichnete sich durch eine große Homogenität aus, was die Tiefe des Interesses an den biologischen Objekten sowie die mikrotechnischen Fertigkeiten anbelangte, so dass jeder vom anderen lernen konnte. Im Verlauf der Woche hatten wir das große Glück, eine Folliculinide im Verlaufe der Teilung beim Ausbilden eines Schwärmers zu beobachten. Wer die zwei Stunden Geduld aufbrachte, die der Schwärmer sich bei der "mütterlichen Ablösung" genehmigte, der konnte ein seltenes Schauspiel erleben (Abb. 4).

Schwärmerbildung bei einer Follikuliniden

Abb. 4: Schwärmerbildung bei einer Follikuliniden (Ciliat),
zunächst noch in dem Gehäuse fest mit dem Muttertier verbunden (oben)
und dann schließlich nach Verlassen des Gehäuses (mitte)
als frei lebendes Individuum zügig umher schwimmend (unten)
(Fotos: W. Bettighofer, Kiel, und K. Hausmann, Berlin).

Die Gruppe setzte sich aus Mikrofreunden aus Österreich, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (fast) aller Altersklassen (zwischen 30 und 70 Lebensjahren) zusammen. Obwohl sich die meisten vorher noch nicht kennen gelernt hatten, waren sie nach kurzer Zeit ein Team, sicher auch wegen des gemeinsam bereiteten Frühstückstisches und des gemeinsamen Abwaschs hinterher. Dank Eigeninitiative eines jeden Gruppenmitgliedes gab es nie einen Mangel an Arbeitswilligen für die anfallenden Tätigkeiten, die deswegen in netter Gesellschaft im Handumdrehen erledigt wurden. Abends testeten wir dann jeweils ausgiebig die kulinarischen Fertig- und Fähigkeiten der Inselgastronomie. Gegen 22 Uhr wanderte die Gesellschaft dann meist noch ins so genannte Doktorandenhaus der Station, wo man sich in gemütlicher Runde angeregt über die Dinge dieser Welt unterhielt.

Die abschließende Frage an die Gruppe und die wissenschaftliche Leitung bezüglich eines da capo wurde von beiden Seite eindeutig mit ja beantwortet. So fiel nach sieben schönen Tagen der Abschied nicht ganz so schwer. Wir sind gespannt, was 2007 bringt, und ob die Planungen der Uni Greifswald mit den Wünschen und Möglichkeiten der Mikroskopiker in Einklang zu bringen sind.

Wolfgang Bettighofer, Kiel

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