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Die Berliner Mikroskopische Gesellschaft (BMG) feierte ihr zwanzigjähriges Jubiläum mit einer Woche der Mikroskopie. 19 Teilnehmer aus Deutschland, der Schweiz und Dänemark arbeiteten und wohnten im Hotel Christophorus-Haus des Evangelischen Johannesstifts, Berlin-Spandau. Die Firma Zeiss stellte für jeden Teilnehmer ein Mikroskop zur Verfügung. Die Okulare waren für Brillenträger geeignet; es war also nicht notwendig, die Brille auf und ab zu setzen, wenn man zunächst ins Mikroskop und dann woanders hin sah - sehr bequem.
Die erste Überraschung war ein Waldspaziergang in der Nähe des Hotels unter der Leitung von Rudolf Drews (BMG) (Abb. 1). Wir entdeckten zahlreiche interessante Pflanzen und Tiere. Libellen schwärmten um uns herum und paarten sich. Es gab Seen, Teiche, Kanäle und Bäche. Wir sammelten Wasserproben, die wir später mikroskopierten. Es war erstaunlich, eine solch vielfältige Natur in der Großstadt Berlin zu finden.
Abb. 1: Waldexkursion in Berlin-Spandau unter der Leitung von Rudolf Drews (2. von rechts).
Professor Dr. Klaus Hausmann (BMG und Freie Universität Berlin) besprach gründlich die aktuellen Vorstellungen zur Taxonomie der Protisten. Die Taxonomen haben sicherlich immer gewusst, dass die Gruppierung der vielen verschiedenen Organismen schwierig und voller Widersprüche ist. Zum Beispiel können einige Flagellaten als Pflanzen mit Chloroplasten Photosynthese betreiben, während deren nahe Verwandten ohne Chloroplasten heterotroph als Tiere leben. Wir wissen jetzt, dass bestimmte Amöben mehrere Typen von Pseudopodien ausbilden können, was sehr misslich ist, weil man früher diese Pseudopodienformen als Merkmale für taxonomische Gruppierungen genutzt hat. Die neue Taxonomie zieht Merkmale mit in die Betrachtung, die man früher nicht kannte, beispielsweise Strukturen, die man nur mit dem Elektronmikroskop studieren kann, oder Erkenntnisse aus der Molekularbiologie. Trotzdem ist die aktuell vorgeschlagene Taxonomie nicht ganz befriedigend, denn die Organismen sind vielfältig und durch viele Übergangsformen miteinander verbunden. Das Elektronmikroskop zeigt, dass man die Einzeller nicht als primitiv bezeichnen sollte, weil viele von ihnen hoch entwickelte Baupläne und Lebenskreisläufe aufweisen.
Dr. Erich Lüthje (Kiel) brachte uns Blattstiele und Luftwurzeln mit, deren Bau wir an selbst hergestellten und gefärbten Schnitten studierten. Die Luftwurzeln der Orchidee Phalaenopsis saugen Wasser aus Regen und Tau auf; die äußeren Gewebe sind speziell dafür gebaut. Die Färbungen zeigten, wie das Wasser zum Inneren der Wurzel transportiert wird.
Die Entwicklung der Taufliegenlarven wurde von Professor Dr. Horst Kreß (Freie Universität Berlin) beschrieben (Abb. 2). Die Entwicklung vom Ei über den Embryo bis zur Larve erfolgt sehr schnell. Zum Beispiel besteht der Embryo bereits 2,5 bis 3 Stunden nach der Eiablage aus etwa 5500 Zellen. Die Zellteilungen verlaufen zur gleichen Zeit, also synchron, und die 5500 Zellen sind durch nur 12-13 Zellteilungen entstanden. Es ist möglich, Gene in das Genom des Eies einzuführen. Einige der Gene arretieren die Entwicklung in einer bestimmten Stufe. Die Aktivität dieser Gene kann durch spezielle Färbungen sichtbar gemacht werden. Dadurch sieht man, wo diese Gene wirksam sind und welche Prozesse sie steuern, zum Beispiel die Differenzierung des Körpers in Kopf und Rumpf oder die Segmentierung. Durch diese Versuche lernt man die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung des Embryos zu verstehen. Herr Kreß hatte derartige Präparate mitgebracht, die wir dann selbst mikroskopieren konnten.
Abb. 2: Prof. Kreß erläutert ein Drosophila-Präparat.
Professor Dr. Rupert Mutzel und sein Doktorand Jens Baumgardt (beide Freie Universität Berlin) berichteten uns von den Eigenschaften der Bakterien und wie man sie bestimmen kann. Die Bakterien sind sehr veränderlich, weil sie Gene mit anderen Bakterienarten austauschen können. Das macht eine auf die Beständigkeit der Arten gegründete Taxonomie schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Andererseits ist es für die Bakterien von Vorteil, sich schnell an neue Umweltbedingungen anpassen zu können. Wir lernten die Gram-Färbung durchzuführen und studierten Bakterien aus verschiedenen Laborkulturen.
Die Aktivitäten der Speicheldrüsen der Fliegen, Schaben und Säugetiere werden von Serotonin und Dopamin gesteuert. Diese chemischen Verbindungen werden auch als Transmitterstoffe im Gehirn verwendet. Durch genaue Dosierung dieser Stoffe wird der Gehalt von Wasser, Mucinen und Enzymen im Speichel bestimmt. Professor Dr. Bernhard Walz (Universität Potsdam) erläuterte den Bau und die Funktion der Speicheldrüsen im Detail (Abb. 3) und stellte uns mikroskopische Präparate zur Verfügung, um die mikroskopische Anatomie dieser Organe kennen zu lernen.
Abb. 3: Prof. Walz (hinten rechts) erklärt Speicheldrüsenpräparate.
Ein Biofilm ist ein Überzug von lebenden Organismen auf Oberflächen, zum Beispiel auf Steinen und Blättern, in Wasserrohren und auf den Zähnen in unserem Mund. Objektträger überziehen sich mit einem Biofilm, wenn man sie in Freilandgewässer inkubiert. Professor Dr. Ulrich Szewczyk (Technische Universität Berlin) brachte uns Objektträger mit Biofilmen aus verschiedenen Biotopen zur Untersuchung mit. Es fanden sich Bakterien, Choanoflagellaten, Ciliaten (z.B. Suctorien) und zahlreiche andere, auch vielzellige Organismen. Selbst in Trinkwasserrohren wachsen Biofilme; es gibt offenbar immer Bakterien im Trinkwasser. Das überraschte viele von uns.
Jörg Frädrich (Fa. Gajek, Berlin) berichtete über seinen Alltag als Kammerjäger. Er hatte von einigen wichtigen Hausparasiten Schaukästen mit deren Lebenszyklen mitgebracht (Abb. 4). Der Vortragende wurde mit zahllosen Fragen zur Schädlingsbekämpfung bombardiert, denn unser Interesse war groß.
Abb. 4: Die Entwicklungskreisläufe einiger Parasiten werden anhand von Schaukästen studiert.
Ein Tagesausflug führte uns zum Neuruppiner See, leider hauptsächlich im Regen. Aber das Schiffsdeck war überdacht und warm, und wir hatten viel Gelegenheit miteinander zu sprechen.
Ein einem Vormittag besuchten wir in Berlin Dahlem das Institut für Biologie/Zoologie der Freien Universität, wo Klaus Hausmann uns das Raster-Elektronenmikroskop seiner Arbeitsgruppe erklärte. Er demonstrierte unter anderem Radiolarien. Das Raster-Elektronenmikroskop hat eine so große Tiefenschärfe, dass es möglich ist, beispielsweise ganze Radiolarien oder Insektenköpfe scharf abzubilden. Dadurch versteht man ihren dreidimensionalen Bau viel besser.
Der Imker des Instituts, Dr. Benedikt Polaczek, zeigte uns Honigbienen, Hummeln, Hornissen und anderes. Wir sahen den Bau ihrer Nester. Während wir die Insekten beobachteten, flog eine Kohlmeise zu den Bienenstöcken, ergriff eine Biene, setzte sich auf einen Ast, tötete die Biene und verspeiste sie.
Dr. Albrecht Manegold (Senckenberg Museum, Frankfurt) berichtete über die Entstehung von Speiballen der Vögel. Wir zerteilten Speiballen von Eulen und ordneten die Knochen, Schädel und Zähne der Beutetiere mit Hilfe von Zeichnungen bestimmten Tieren zu. Speiballen bestehen hauptsächlich aus Haaren und Knochen von Mäusen, welche die Eulen am Stück herunter schlingen. Im Magen werden die unverdaulichen und verdaulichen Bestandteile voneinander getrennt. Die Eulen würgen die unverdaulichen Bestandteile als Speiballen aus. Durch die Untersuchung von Speiballen sieht man, was und wie viel Eulen fressen, und man versteht ihren Platz im Ökosystem besser.
Dr. Renate Radek (BMG und Freie Universität Berlin) (Abb. 5) hatte im Vorfeld einige Zeit damit verbracht, in der freien Natur verschiedenstes pflanzliches Material mit unterschiedlichsten Gallen zu sammeln. Wir öffneten die Gallen und sahen ihre Bewohner (z.B. Insekten und Milben) und den Bau der Gallen. Die Tiere bewirken durch ihre Fraß- oder Saugaktivitäten die Bildung artcharakteristischer Wucherungen oder Blatteinrollungen. Die Galle schützt den Bewohner und ernährt ihn. Die Gallen schaden normalerweise den Pflanzen kaum.
Abb. 5: Dr. Radek (2. von links) bei der Demonstration von Pflanzengallen.
Wir hatten viel Freude bei der Mikroprojektionsdemonstration von Dr. Gerhard Teichert (BMG). Er brachte ein etwa 70 Jahre altes Projektionsmikroskop mit Kohlenbogenbeleuchtung sowie 100 bis 150 Jahre alte Mikropräparate mit.
Hauptsächlich in den Abendstunden sahen wir verschiedene Filme aus dem Mikrobereich. Leider sind Filme von Mikroorganismen durch die sehr geringe Tiefenschärfe des Mikroskops geprägt. Deshalb muss man viel Erfahrung mit der Mikroskopie haben, um die Bilder zu verstehen. Inzwischen wird ein Teil der Probleme durch Computertechnik, Hochgeschwindigkeitskinematographie und optimale Beleuchtungseinrichtungen gelöst. Ein Film zeigte die symbiontischen Flagellaten aus der Gärkammer von Termiten. Die Darstellung der Bewegungen, der Flagellen und der Organellen war außerordentlich eindrucksvoll. Ein Film zur Cilienbewegung war ebenso gut. Ein Film über Schleimpilze zeigte deren Leben als Amöbe, als wanderndes Plasmodium und schließlich als Sporen bildendes Stadium.
Zahlreiche Dänen haben die Jahrhunderte hindurch Inspiration, Wissen und Freunde in Deutschland gesucht, und viele machen es noch heute so. Ich reiste aus diesen Gründen nach Berlin, und ich bekam, was ich wünschte. In Dänemark gibt es leider keine mikroskopische Gesellschaft, aber wir drängen danach. In Berlin bekam ich ein gutes Vorbild dafür.
Es war ein Vergnügen, den vielen guten Vorträgen zu folgen. Sie waren von hoher Qualität und leicht verständlich, auch für Leute ohne große Vorbildung. Bemerkenswert war, dass jeder Vortragende den richtigen Gebrauch von Power-Point als Medium der Illustration verstand.
Die Teilnehmer der Mikroskopierwoche waren sehr zufrieden. Meine herzlichsten Glückwünsche zum 20-jährigen Jubiläum und alles Gutes für die Zukunft.
Eigil Holm, Gedved, Dänemark
(Fotos: Sascha Buchczik 2006, Berlin)